Radical Chic für Bedürftige Seite 4


Einige Anmerkungen zu „after the butcher“ bei „based in berlin“


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Wer soziale Fragen zum Inhalt der Kunst macht, kommt schnell dazu, das Augenmerk auf die Überlegenheit seiner Kritik zu lenken und das Kunstwerk zum ironischen Aperçu zu machen, welches die Klugheit dieser Kritik beweist. Dann ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zum Habitus des „kritisch hinterfragenden“ Künstlers, Erbe der Dadaisten in vierter oder fünfter Generation. Mit dem Dadaismus zog das „kritische Hinterfragen“ in seiner beliebtesten Spielart, der „ironischen Distanz“ in die Kunst ein. Dies hatte sicherlich zum Beginn des 20. Jahrhunderts eine befreiende Wirkung. Man sollte sich aber klar machen, dass unter den großen Meistern der Kunst – Da Vinci, Rembrandt, Van Gogh, Chagall, um nur einige zu nennen – kein einziger dieser Ausdrucksform huldigte, sondern dass dieser Ansatz erst mit dem Verschwinden des geistigen Inhaltes der Kunst, der Religiosität im weitesten Sinne, entwickelt wurde. Wer sich heute dieser Sprache bedient und meint, damit im 21. Jahrhundert auf der Höhe der Zeit zu sein, hat vom Konservatismus seiner Weltanschauung keine Ahnung. Das Pochen auf den Sonderstatus des Künstlers, der für sein pures „Kritikerdasein“ Alimente einfordert, wird zur überkommenen Attitüde, einem „Radical Chic“ für Bedürftige, wie man diese Haltung im Anklang an Tom Wolfes Begriffsprägung von 1970 nennen kann. Tom Wolfe hat behauptet, dass die Unterstützung radikaler Gesellschaftskritiker für die gesellschaftliche Elite lediglich eine Frage des Stils, der Imagepflege ist, womit sie den Zweck verfolgen, Teil des Diskurses zu bleiben, eben ‚radical chic’. Der heutige Künstler fordert diese Unterstützung direkt ein; er braucht den Geldgeber, um von seiner Kritik leben zu können. Allerdings soll dieser Geldgeber Steuergelder verteilen; das macht die Angelegenheit weniger peinlich.

Denn jetzt gelangen wir erst recht in die Situation, wo sich die „politik“ den Künstler als eine Art recht oder schlecht bezahlten Hofnarren hält, dem es obliegt, die unangenehmen Wahrheiten zu sagen, ohne zur Lösung des Problems beizutragen, weil er zu dieser Aufgabe nichts Substantielles hervorbringt. Denn das stereotype „mehr Geld“ bzw. „mehr Kunsthallen“ kann ja wohl nicht als substantiell betrachtet werden. Allerdings wird Substantielles auch gar nicht von ihm erwartet. Man erwartet vielmehr, ihn – protestierend – auf diesem Festival und jenem Festival anzutreffen, in wechselnden Konstellationen mit seinen Künstlerkolleginnen und -kollegen, in Diskussionsforen und Debattierclubs, in denen die neuen Kritiken geboren werden. Der Künstler wird genau das, was er nicht sein will – Vertreter der Wirtschaft, der sogenannten „Kreativwirtschaft“, Standortfaktor. Der Protest gegen alles und jedes ist des Künstlers Auftrag – und der Künstler sitzt in der Falle, denn je mehr er protestiert, umso besser erfüllt er die Erwartungen.

Dies ist der moderne Ablasshandel: der Künstler macht sich zum schlechten Gewissen der Gesellschaft und fordert für diese Funktion ein Gehalt. Ab und zu dringt es zu ihm durch, dass sein Protest im Übrigen keine weiteren Auswirkungen hat: „dass ein verständnis für den berechtigten protest nicht nur nicht ausblieb, sondern insbesondere der regierende bürgermeister klaus wowereit stur und ignorant daran kleben bleibt und die ausstellung trotz titeländerung weiterhin als „leistungsschau" bezeichnet.“

In dieser Weise wird der Protest an den gesellschaftlichen Verhältnissen ritualisiert und neutralisiert: wie in einer antiken Tragödie erklingt an passender Stelle der Chor der Kritiker, um den Betrachter mit Furcht und Schrecken zu konfrontieren. Die Furcht und der Schrecken kulminieren in der Drohung, dass die Künstler als Berufsgruppe verschwinden werden, wenn sie nicht mehr Geld erhalten. Wenn es am Schluss des Textes heißt „unsere lebens- und produktionsbedingungen werden schwieriger, mieten und lebenskosten steigen, förderungen werden gestrichen, bei rückläufigen einnahmen. mit katharina sieverding sagen wir: „arm aber sexy" ist out. es ruiniert und diskriminiert uns und unsere Kunst.”, so ist diese Klage über mangelndes Geld allerdings kein Alleinstellungsmerkmal der Künstler als Berufsgruppe. Jede Gruppe ist in der Lage aufzuzählen, wie die Gesellschaft insgesamt davon profitieren würde, wenn man ihrer Gruppenforderung nach mehr Geld nachkäme. Doch bei soviel Klagen über die Lebensbedingungen, über den Regierenden Bürgermeister und alles andere frage ich mich, wo ist die Kunst, die ruiniert wird? Warum steht nicht sie im Fokus der Aufmerksamkeit, sondern die Lebensbedingungen? Ist es so, dass die Lebensbedingungen erst ideal sein müssen, bevor wir uns der Kunst zuwenden? Dann sieht es für die Kunst in der Tat schlecht aus, denn es hat zu keiner Zeit so günstige Produktionsbedingungen für die Künstler gegeben wie heute.

Ob die Bedingungen auch für die Kunst günstig sind, steht auf einem anderen Blatt.

Es ist nicht weiter verwunderlich, dass sich die bildenden Künstler selbst in einem ganz und gar operettenhaften Bild vom Künstler, das ihnen die Rolle eines nicht unbedingt notwendigen, aber doch insgesamt unterhaltsamen Akteurs in der Gesellschaft zuweist, nicht wiederfinden wollen und können. Dass sie als Touristenattraktion ihre wirtschaftliche Berechtigung haben, kann für sie kein Trost sein.

Will man aber die Kunst zum Lebenselixier nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere machen – zum sozialen Faktor machen, wie im Ansatz beispielsweise von Joseph Beuys entwickelt –, so muss man sich die Frage stellen, ob die Inhalte, die man schafft, dafür ausreichend sind. Mit anderen Worten, ob ein ironisches Aperçu eine Langzeitwirkung hat, über die Aktualität des Tages hinausreicht. Der Antwort auf die Frage, was die Kunst leisten kann, kann man ganz gewiss nicht aus dem Weg gehen, indem man anzweifelt, dass eine künstlerische Leistung von anderer Seite beurteilt werden kann. Das hieße letztendlich ja nichts anderes, als die Wirksamkeit des eigenen Werkes anzuzweifeln. Denn nur in dem Fall, wo der Rezipient keine Wirkung verspürt, kann er auch nicht urteilen. Man kann sicherlich in Zweifel ziehen, ob das wirtschaftliche Urteil das allein gültige Urteil ist. Dann muss man aber weitere Kriterien für die künstlerische Leistung benennen. Man ist genötigt, Kriterien dafür zu entwickeln, wie man eine künstlerischen Leistung von einer nicht-künstlerischen Leistung unterscheiden kann, die selbstverständlich auch eine Leistung ist.

Ob ich im Werk einen Bedeutungszusammenhang herstelle, der tief in die menschliche Existenz führt oder ob ich mit der bildhaften Darstellung an der Oberfläche bleibe, ob ich Symbole schaffe, die das Innere des Menschen in vielfältiger Weise zum Schwingen bringen oder ob ich eine stroherne Allegorie nach altbekanntem Muster verwende, das sind Fragen, die sich der Kunstproduzent stellen könnte. Die Tendenz des Künstlers, sein Werk zum Anhängsel seiner Meinung zu machen, ist fatal, denn sie führt in letzter Konsequenz dazu, dass das Werk nur noch die Illustration seiner guten Absichten ist. Auf diese Weise gelangt das Werk jedoch nicht in eine lebendige selbständige Existenz, die unabdingbar ist für eine den Künstler überdauernde Wirkung, einer Wirkung, die dem Menschen hilft, sein universelles Menschsein zu verstehen und zu entfalten.

23. 6. 2011

Hannelore Fobo

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