E- Ev.g.e.n.i.j ..K.o.z.l.o.     Berlin                                                  
Deutsch-russische Kulturbegegnungen 2003/2004:


13. Februar 2003,

Dmitri Pavlov
Konzert für Klavier, Computer und Orchester

Dmitri Pavlov (Komponist) im Gespräch mit
Andrey Boreyko (Dirigent)

mit Hörbeispielen aus dem Werk




Hörproben: www.dmitri-pavlov.de

Dmitri Pavlov mit der Jenaer Philharmonie

Dmitri Pavlov als Solist am Klavier bei der Aufführung seines Konzertes
am 5. Dezember 2002 in Jena


13. 2. 2003
Dmitri Pavlov und Andrey Boreyko:


Kurzbeschreibung

Komposition

Biographie Dmitri Pavlov

Analyse des Werks durch den Komponisten

zur Homepage von
Dmitri Pavlov



Kurze Beschreibung

Der gebürtige Petersburger Komponist Dmitri Pavlov (43) lebt und arbeitet seit einigen Jahren in Berlin. Er ist Preisträger verschiedener Wettbewerbe, darunter auch des Internationalen Musikwettbewerbs für elektronische Musik in Bourges/Frankreich. Einige seiner Werke spielte er mit den Petersburger Funk- und Fernsehanstalten ein; seine jüngste Komposition "Kukushka" wurde von Sony Music produziert. In Deutschland wurde seine Ballettmusik "Das Leben der Farben" 1992 in der Alten Oper Frankfurt aufgeführt.

Die hier präsentierte Fassung seines Konzerts für Klavier, Computer und Orchester hatte ihre Erstaufführung am 5. Dezember 2002 mit der Jenaer Philharmonie unter der Leitung von Andrey Boreyko. Die Kritik würdigte sie als "Programmmusik unserer Tage". Boreyko, ebenfalls Absolvent des Petersburger Konservatoriums, hatte bereits die Uraufführung des Konzertes in Uljanowsk dirigiert. Der international arbeitende Dirigent hat sich in Deutschland mit seinem innovativen Programm für das Jenaer Orchester einen Namen gemacht. Da er vom 14. bis 16. Februar die Berliner Philharmoniker dirigiert, wird er sich auch am 13. Februar in Berlin aufhalten und direkt von den Orchesterproben zur Veranstaltung begeben.

Die Vorstellung dieser neuen Fassung im Atelier Evgenij Kozlov als Werkstattgespräch mit Hörbeispielen ist eine der Eröffnungsveranstaltungen des "Jahres der deutsch-russischen Kulturbegegnungen unter der Schirmherrschaft des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin und des Bundespräsidenten Dr. Johannes Rau", welches mit einem offiziellen Festakt im Konzerthaus am Gendarmenmarkt am 9. Februar beginnt.

Wir dürfen mit einem spannenden und unterhaltsamen Abend rechnen, der nicht nur den Laien in einige Geheimnisse zeitgenössischer Komposition einweiht, sondern auch Einblicke in die musikalische Szene St. Petersburgs der achtziger und neunziger Jahre gibt. Unterstützt wird die Werkpräsentation von Oliver Schwiegershausen, der beim Jenaer Konzert für den Einsatz des Computers verantwortlich zeichnete.

Auszüge aus diesem Konzert - der zweite und der dritte Satz - sowie aus weiteren Werken finden Sie auf der Homepage von Dmitri Pavlov:
www.dmitri-pavlov.de

nach oben

Andrey Boreyko (left), Dmitri Pavlov (right). Photo: Olga-gewis.

Andrey Boreyko (left), Dmitri Pavlov (right). Photo: Olga-gewis.

Zur Komposition:

1982, zum Ende seiner Studienzeit am St. Petersburger Konservatorium, hat Dmitri Pavlov sein erstes Konzert geschrieben, in der klassischen Besetzung für Klavier und Orchester. Doch den damals 23jährigen interessierten bereits die Möglichkeiten der elektronischen Musik. Es erfolgte eine zweite Version des Werkes mit zusätzlicher Computerstimme, die 1987 in Uljanowsk mit dem dortigen philharmonischen Orchester ihre Uraufführung erlebte. Das Zusammenwirken von traditionellen Orchesterstimmen und neuer Technologie, umgesetzt mit einem Atari ST-Computer, Sampler und Roland D50, war in jener Zeit ein absolutes Novum. Das völlig überraschte Publikum reagierte begeistert.

Im Jahre 2002 ensteht die dritte Version seines Konzerts mit Überarbeitung der Orchesterstimmen und Neufassung der Computerpartitur.

Dazu Dmitri Pavlov: "Erst jetzt war ich imstande, die elektronische Stimme in der Komplexität und Dichte zu entwickeln, wie sie mir von Anfang an vorgeschwebt hatte. Die Computerstimme hat in diesem Werk ihren experimentellen Charakter verloren, sie ist innerhalb des Orchesters Solist in der vollsten Bedeutung des Wortes geworden. So wie das Orchester für "Kultur" und "Tradition" steht - letzteren Begriff gebrauche ich ausschließlich positiv - , steht der Computer für "Zivilisation", "Maschine" "Elementarkraft" und das Klavier für den "romantischen Helden". Dieser aber handelt aktiv in der neugeschaffenen surrealistischen Klangwelt."

nach oben

Hannelore Fobo, Dmitri Pavlov. Photo: Olga-gewis.

Hannelore Fobo, Dmitri Pavlov. Photo: Olga-gewis.

Biographie Dmitri Pavlov

geb. 1959 in St. Petersburg, Rußland

1978 - 1982 Rimsky-Korsakov-Konservatorium, Komposition, Musiktheorie

Ab 1984 Tätigkeit bei den St. Petersburger Funk- und Fernsehanstalten. Kompositionen für Theatergruppen, Ballette, Film- und Radioproduktionen für elektronische und akustische Instrumente.

Ab 1987 Arbeit im eigenen Studio

Seit 1990 Mitglied der „Vereinigung der elektronischen Musik in Rußland bei der Unesco“

1991 - 1993 Musikalischer Leiter des Theaters „Vremia“

1992 Gründung des Pavlov Ballettes

Lebt und arbeitet seit 1997 in Berlin


ausgezeichnete Werke:

Internationaler Wettbewerb für elektronische Musik in Bourges, Frankreich, jeweils „Winning Brackets of Top Ten Entries“:
1989 Kantate „About Love“ für Tenor, Chor und Elektronik
1990 „My native Land“, Komposition für Elektronik
1993 „The Life of Colour“ Ballettmusik

Filmmusiken:

1988 Filmmusik zu „Bells of Nord“, Regisseur M. Micheev. Erster Preis beim Festival für Filmmusik, Moskau
1992 Filmmusik zu „Kolima“, Regisseur M. Micheev. Erster Preis beim Wettbewerb für Fernsehfilme, Dänemark
Silberne Taube beim Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilme
1993 Filmmusik zu „Tschekist“, Regisseur A. Rogozhkin. Beitrag zum Filmfestival in Cannes
2002 Filmmusik zu „Kukushka“ (The Cuckoo), Regisseur A. Rogozhkin, CTB Film Company. Erster Preis beim Moskauer Film Festival

nach oben


Publikum im "Russkoee Polee", studio (E-E) Evgenij Kozlov (2003)

Publikum im "Russkoee Polee", studio (E-E) Evgenij Kozlov (2003)

Werkanalyse durch den Komponisten

Während meiner Arbeit an der Instrumentierung des Konzertes für Klavier und Orchester (1982) verspürte ich immer dringlicher die Notwendigkeit, in die Partitur ein Instrument oder eine Gruppe von Instrumenten miteinzubeziehen, welche es erlaubte, die rhythmische Bewegung auf eine mechanische Weise zu strukturieren. Zu meinem Glück erschien kaum zwei Jahre später der erste Musikcomputer, dessen erstaunlich weitreichende Möglichkeiten mich nicht nur in den Stand versetzten, Fragen der rhythmischen Organisation zu lösen, sondern mich auch dazu inspirierte, ihm die Rolle eines zweiten Solisten im Konzert zu übertragen. Der Computer erfüllt diese Aufgabe in der neuen Version (dem Doppelkonzert) hervorragend: er "spielt" gemeinsam mit den Orchesterstimmen und dem Klavier, führt kontrapunktische Linien ein und besitzt seine partikulare Kadenz.

Die musikalische Dramaturgie des Konzertes basiert auf dem komplizierten Zusammenspiel, der gegenseitigen Beeinflussung und dem Konflikt zweier verschiedenartiger Bildräume, welche sich in den Partien des Solo Klaviers und des Computers ausdrücken. Dabei nimmt das Orchester die Haltung eines "Opportunisten" ein: größtenteils befindet es sich "in der Gewalt" des ersten Solisten (des Klaviers), und strenggenommen begleitet es diesen. Doch sobald die Initiative an den Computer übergeht, ordnet es sich jenem unter und schlägt sich auf die Seite des "Siegers".

Die grundsätzliche Kollision konzentriert sich im ersten Teil, die als frei behandelte Sonatenform geschrieben ist. Im zweiten Teil erfolgt eine allmähliche Annäherung der jeweiligen Bilder, bis dann im Finale ein vollkommen harmonisches Zusammenspiel erreicht wird. Ich möchte etwas ausführlicher auf die "dramatischen Ereignisse" des ersten Teils eingehen.

Er beginnt mit dem feierlich-düsteren im Achteltakt gehaltenen Haupthema (Moderato) im Grundton D, welches vom Orchester im Tutti wiedergegeben wird. Dann setzt der Computer ein; er baut von Anfang an seine spezielle elektronische Welt auf. Hier herrschen bereits andere Gesetze der Relation von Raum und Zeit. Es folgt die "Vorstellung" der Hauptfigur: eine selbstbewußte Akkordphrase des Klaviers (Rubato im Grundton As), welche im weiteren Verlauf des Werkes eine höchst wichtige Rolle spielen wird. Die Bedeutung dieses Ereignisses wird dadurch unterstrichen, dass sowohl das Orchester als auch der Computer beim Einsatz des ersten Solisten verstummen. In der Partie des Klaviers tauchen plötzlich lyrische Passagen auf (wir werden sie später, im zweiten Teil, erneut hören). Der Computer nutzt diese zeitweise "Schwäche" seines "Gegners", und trägt ihn in seine surrealistischen Fernen fort (Lontano).

Der mächtige Einklang des Orchesters ist der Wachruf für den ersten Solisten: es beginnt (ohne Begleitung des Computers) die Entwicklung des Hauptthemas (Piu mosso). Vor dem Hintergrund kurzer punktierter Akkordphrasen der Trompeten und Hörner und der wütend gehämmerten Sechzehntel der Streicher, welche von heftigen "Ausrufen" der Holzbläser durchschnitten werden, spielt das Klavier ungestüm aufsteigende, absteigende und aufeinanderstoßende Abfolgen von Quarten, Sexten und Oktaven. Hier taucht zum ersten Mal im Orchester ein neues Thema auf, welches man als Variante des Hauptthemas betrachten kann. Und genau dieses neue Thema wird den gesamten Verlauf der Durchführung dominieren.

Die Überleitung besteht aus drei Takten, die tiefen Akkorde der Streicher modulieren nach As-Dur und bestimmen es dabei als zweites tonales Zentrum der Exposition.

Die Nebenpartie (Adagio) steht im vollen Kontrast zum Hauptpartie. Diese Klangwelt gehört ganz und gar dem ersten Solisten: in der Partie des Klaviers erklingt ein lyrisches Thema in Begleitung der Streicher. Es berührt in seiner Entfaltung ein nostalgisches Es-Moll 9, kehrt zu seiner Ausgangsphrase zurück, die aber jetzt ins Fis-Dur gesetzt ist, und erreicht dann seinen Höhepunkt in Cis-Moll. Dieser wird durch den Einsatz von Trompeten, Hörnern und Posaunen und dem Tremolo der Pauken verstärkt.

Der Computer tritt ganz in den Hintergrund zurück und wartet gelassen auf den Augenblick, wo er sich endlich Gehör verschaffen kann, um seine ganze Macht zum Ausdruck zu bringen. Lediglich zweimal, sozusagen als harmonische und räumliche Resonanz, kennzeichnet er die jeweiligen Grundtöne. Und in der Tat, bei der plötzlich beginnenden Durchführung (Molto allegro) - denn einen eigentlichen Abschluß der Exposition gibt es nicht - übernimmt der Computer vollständig die Initiative und organisiert streng quantisiert die rhythmische Bewegung, wobei ihre mechanische, mathematisch absolut genaue Eigenheit besonders unterstrichen wird. Das Orchester entwickelt dieses neue Thema (eine Variante des Hauptthemas), welches allmählich geradezu dämonische Züge annimmt. Das Klavier spielt Phrasen und Passagen mit improvisatorischem Charakter - der erste Solist bemüht sich, sich von der rhythmischen Macht des Computers zu befreien. Doch vergeblich: beim Höhepunkt ist sein Spiel genauso absolut mechanisch geworden.

Bei der Reprise des Hauptthemas wird dieses um eine halben Ton erhöht (Es) und modifiziert sich für den logischen Übergang zum Nebenthema, welches im Vergleich zur anfänglichen Variante vollständig seinen Charakter geändert hat. Es beginnt im Modus As, B, Es, E, Ges und moduliert ständig, wobei es doch letztendlich zu dem Höhepunkt gelangt, der schon in der Exposition erreicht wurde, nur erreicht es ihn hier auf schwierigere, "quälendere" Weise (C-Moll 9). Genau in diesem Abschnitt kommt der Konflikt zwischen den beiden Bildräumen zur Kulmination. Während die melodische Linie des ersten Solisten auf den Höhepunkt zustrebt und immer romantischere Züge annimmt, behält der Computer nicht nur seine mechanischen Eigenheiten, sondern es gesellen sich noch destruktive Elemente hinzu. Nach den abschließenden "trauernden" Phrasen des Klaviers und der Streicher bleibt der Computer mit seiner Solokadenz uneingeschränkter Herrscher der Lage. Er entwickelt sein Bild bis zur vollständigen Deformation und des Empfindens des absoluten Widersinns.

Der zweite Teil, eine komplexe dreiteilige Form, ist ein lyrischer Monolog des Klaviers, dem der Computer seine Kommentare zufügt, wobei er gleichzeitig den akustischen Raum erweitert und vertieft und damit auf gewisse Weise versucht, den ersten Solisten zu "verstehen".

Im Finale (Toccata mit Elementen des Rondos und großer Klavierkadenz) vereinigt alle drei "handelnde Figuren" der Rausch der elementaren Bewegung, der Genuß des scharf umrissenen rhythmischen Spiels, die Freude am gemeinsamen Musizieren.

Wenn man den außermusikalischen Aspekt dieses Werkes betrachtet, so kann man sagen, dass ich mich intuitiv ethisch-philosophischen Fragen genähert habe, etwa: Ist es möglich, ein romantisches Weltempfinden in der postindustriellen Gesellschaft zu haben? Nach welchen Prinzipien wird das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine aufgebaut? Können menschliche Werte wie Liebe, Mitgefühl, Gottsuche unter den Bedingungen der technischen Zivilisation existieren?

Was die technische Seite betrifft, so habe ich auf die neuesten Computertechnologien zur synthetischen Klangerzeugung, -zusammensetzung und -wiedergabe zurückgegriffen. Doch bei der Auswahl der Kompositionsmethoden, der Instrumentierung und anderer Komponenten der Musiksprache bin ich bewußt den Weg der sogenannten "konservativen Erneuerung" gegangen, indem ich Methoden nutzte, die durch lange Zeiten geprüft worden sind und als klassisch gelten. Bei der Arbeit an der Gestalt des Werkes dienten mir als ästhetisches Ideal die großen Konzerte von Beethoven. Für die erweiterten tonalen und die modalen Techniken untersuchte ich analoge Systeme bei Bartok, Hindemith und auch Bill Evans und John MacLaughlin. Die rhythmische Strukturen standen unter dem Einfluß des Rock und des Jazz. Eine interessante Feststellung ist, dass die Methode der Mechanisierung der musikalischen Wiedergabe, die auf den ersten Blick in logischem Zusammenhang mit dem wissenschaftlichen Fortschritt unser Zeit zu stehen scheint, tatsächlich bereits seit Beginn des 13. Jahrhunderts angewendet wurde (chinesische mechanische Glocken, Orgel-Automatophone, Uhren mit Flöten, Musikdosen etc.). Meine hauptsächliche Aufgabe verstand ich eben gerade nicht darin, neue Ausdrucksmittel zu suchen, sondern unter den vorhandenen eine solche Auswahl zu treffen, mit der es mir gelingen würde, eine vollständig harmonische Synthese aller musikalischen Elemente zu erreichen. Damit sollte es mir möglich sein, einen neuen Stil zu schaffen. Der Stil ist aber, wie schon der geniale Goethe bemerkt hat, die Erkenntnis des Wesens der Dinge.

Übersetzung aus dem Russischen: Hannelore Fobo




nach oben