Evgenij Kozlov

Das Leningrader Album


Atmosphäre

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Atmosphäre

Das Album

Die Entwicklung der Zeichnungen

Das Hohelied des Verlangens



•••••••• Das Leningrader Album ••••••••


„Im Leningrad Ende der 60er Jahre stellte sich ein mit feinem künstlerischem Urteil und Empfinden begabter Junge – oder auch zwei – eines Tages folgendes vor: wie wohl die in geistiger, intellektueller und visueller Hinsicht besten Mädchen von ihm träumen, obwohl nicht nur das …“ Evgenij Kozlov

Seine Vorstellungen erwiesen sich als ungeheuer treffend. Bereits die ersten Experimente wurden von der zitternden Hand des jungen Meisters festgehalten; so erschienen nach und nach die Zeichnungen.

An der Newa
Fotografie: Valentin Kozlov

•••••••• Atmosphäre ••••••••


Licht, Wasser und Architektur bilden die besondere Atmosphäre von Leningrad/St. Petersburg. Sie formen eine spezifische Wahrnehmung von Harmonie, die sich in der Ausgewogenheit der Bildkomposition bemerkbar macht. Selbst scheinbar nebensächliche Details werden mit großer Sorgfalt und Liebe behandelt.

Daneben gibt es ein zweites Element, das die Kreativität des jungen Künstlers beeinflusst hat: die Lebensbedingungen einer beinahe typischen sowjetischen Familie in den sechziger und siebziger Jahren.

Der Schlüsselbegriff hierzu lautet „Kommunalka“.
Kommunalka, umgangssprachlich für „Kommunalnaya Kvartira“ („Gemeinschaftswohnung“), das ist die großzügig geschnittene bürgerliche Wohnung der russischen Metropolen, die zur Sowjetzeit in eine Art Wohnheim umgewandelt wurde: pro Familie ein Zimmer und für alle gemeinsam Küche, Bad, Toilette und Telefon. Einzig sichtbares Zeichen für einen individuellen Wohnraum: die eigene Klingel an der Wohnungstür.


Leningrad im Winter.
Fotografie: Valentin Kozlov





Wenn die durchschnittliche Famile aus 3 - 4 Personen bestand, nicht eingerechnet vorübergehende Gäste, so kommt man je nach Wohnungsgröße durchaus auf eine Belegung von bis zu 30 Personen. Mit Ausnahme einiger privilegierter Familien - Nomenklatura, Akademiker, Künstler - war dies in den Zentren der Großstädte für Generationen von Russen die übliche Wohnform, von der erst der Auszug in eine Neubauwohnung am Stadtrand erlöste. Jene waren in der Regel auch viel zu klein, garantierten aber wenigstens eine gewisse Intimität.

Das Stichwort Intimität ist wohl der wesentliche Begriff für die Komunalka. So seltsam es auf den ersten Blick scheinen mag, die turbulente Enge dieser Zwangsgemeinschaft konnte durchaus seine Vorteile haben. Für die Eltern, die sich keine Gedanken machen mußten, wenn sie sich nicht um die Kinder kümmern konnten, und für die Kinder, die immer Spielkameraden hatten. Und es vermittelte den Kindern eine Fülle von Eindrücken, die sie in einer typischen westeuropäischen Kleinfamilie nicht empfangen hätten.

Lesender
Fotografie: Valentin Kozlov



Stellen wir uns einen kleinen Jungen vor, begabt, schüchtern, verträumt. In der Kommunalka findet er den Querschnitt des prallen sowjetischen Lebens. Überall ist etwas los: Warteschlangen vor dem Badezimmer, Zank in der Küche, weil sich der Nachbar ohne zu fragen am Salztopf der Familie bedient hat oder die Nachbarin für Stunden sämtliche Herdplatten wegen eines Familienfestes belegt.


Gäste zum Tee in der Komunalwohnung.
Fotografie: Valentin Kozlov




Das Allerinteressante aber ist die sexuelle Ausstrahlung der Frauen. Sex ist natürlich kein Thema, und schon gar nicht vor Kindern, man ergeht sich höchstens in Andeutungen, von denen man annimmt, dass sie für Kinder nicht dechiffrierbar sind. Unter diesen extremen Wohnverhältnissen versucht man den Schein des wohlanständigen bürgerlichen Lebens so gut zu wahren, wie es nur irgend geht.
Daher sind jene Begegnungen eher beiläufiger Natur: im Wohnungsflur, durch das Fenster der vorbeifahrenden Sraßenbahn, im Fernsehn, bei den wöchentlichen Sauna–Besuchen mit der Mutter, die ihn ganz selbstverständlich in die Frauenabteilung mitnimmt oder wenn er den halbwüchsigen Mädchen aus dem Nachbarzimmer zuschauen darf, wie sie sich zum Ausgehen schminken und anziehen. Für sie alle zählt er noch nicht als Mann und darf deshalb an der weiblichen Welt teilnehmen.





Aber was der aufmerksame Junge sieht, was er mit seinen Sinnen aufnimmt, das ist die verwirrende Schönheit der reifen Frau, deren enganliegender Morgenmantel ihre Weiblichkeit betont, das sind die sanften Bewegungen des jungen Mädchens, das sich über dem Küchenabfluss Gesicht und Arme wäscht, das ist die Intensität des Parfüms der Nachbarin, die ihn zum Kuchen einlädt – alles das erlangt für ihn Bedeutung, bevor er seinen Sinn erkennt.


Fotojournal mit Schnittmuster.
Fotografie:Evgenij Kozlov




Als er dann älter wird, in die Schule kommt und jeden Sommer mehrere fröhliche Wochen im Pionierlager verbringt, sind es die gleichaltrigen Mädchen, deren Liebling er wird, und manche verraten ihm als Zeichen des Vertrauens kleine und große Geheimnisse. Die Erzieherinnen und die Pionierleiterinnen necken ihn gerne, weil sie sich an seiner ungekünstelten Zurückhaltung erfreuen. Es ist eine reine Frauenwelt, die Welt der Schule und der Ferien. Sicher gibt es gleichaltrige Jungs, mit denen man etwas unternimmt, aber alle Erwachsenen, alle, die etwas zu sagen haben, sind Frauen! Alle wollen ihn erziehen! Alle wollen aus kleinen Jungs große Männer machen, die gerne auf die Frauen hören!

Dieser Junge hat davon seine eigene Vorstellung.

Beim Sport
Fotografie: Valentin Kozlov

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