Evgeny Yufit

Евгений Юфит

by Ekaterina Andreeva

Zurück zur Sammlung 2x3m / Назад >>
zur russischen Fassung des Artikels >>





Evgeny Yufit

Evgeny Yufit (links) und Evgenij Kondratev in Evgenij Kozlovs Berliner Atelier
'Russkoee Polee - Das Russische Feld'. Foto: Evgenij Kozlov, 2000
Евгений Юфит (слева) и Евгений Кондратьев в ателье Евгения Козлова,
 «Русскоее Полее», Берлин. Фотография Евгения Козлова, 2000.


Evgeny Yufit (links) und Evgenij Kondratev in Evgenij Kozlovs Berliner Atelier
"Russkoee Polee - Das Russische Feld". Foto: Evgenij Kozlov, 2000

Евгений Юфит (слева) и Евгений Кондратьев в ателье Евгения Козлова,
«Русскоее Полее», Берлин. Фотография Евгения Козлова, 2000.

Evgeny Yufit begann als Konzept-Künstler, als Organisator von Happenings, - von roh gespielten männlichen Raufereien, die er Anfang der achtziger Jahre in Vororten Leningrads inszenierte, dort, wo Bahngleise an Wochenendgründstücken vorbeiführen.

Diese Happings, die auf 16 mm aufgenommen wurden, waren auch die ersten Filme Yufits. Werewolf Orderlies (Санитары-оборотни Sanitary-oborotni) oder Frühling (Весна  - Vesna) erinnerten nicht nur äußerlich an primitive männliche Initiationsakte, wie sie Buñuels Kamera rekonstruiert hat. Sie besaßen auch ganz real ein ausgesprochen starkes Potential zur Initiation: Evgeny Yufit gründete das unabhängige Kinostudio Mschalalafilm [1] und wurde zum Kopf der Bewegung der Nekrorealisten, an die sich Andrey Mertvy („Andrey, der Tote“), Evgeny Kondratev, Igor Bezrukov („Igor ohne Arme“) anschlossen.

Die Nekrorealisten beschäftigten sich nicht nur mit der Filmkunst, sondern auch mit der Literatur, Standbildfotografie und Malerei. Die Kritik der Perestroikazeit behauptet eine Verbindung zwischen dem Nekrorealismus und dem Zerfall des Sowjetstaates. Diese Art von Analogie wurde durch das Nekrokino und die Nekromalerei provoziert, welche die revolutionären Matrosen in pöbelhafter Manier als Blutsauger darstellte. Wesentlich bedeutender als soziale Kräfte ist für die Nekrorealisten jedoch die vitale Kraft der toten Materie, die ständig auf Kosten des vergangenen Lebenden anschwillt und die naturgeschaffene Realität überflutet, so wie die auferweckten „Väter“ in den Werken des Philosophen Nikolaj Fedorov oder Elias Canettis jenseitige „Massenseele“.

1989 filmte E. Yufit Die Ritter der Lüfte (Рыцари поднебесья / Ritsary podnebesia / Knights of Heaven), seinen ersten Film in Spielfilmlänge. Sein zweiter Langfilm Papa, Väterchen Frost ist tot (Папа! Умер Дед Мороз / Papa, Umer Ded Moroz / Daddy, Father Frost is Dead) erhielt bereits den Großen Preis des Filmfestivals von Rimini. Mit dem Übergang zum langen Format kann man zwei ästhetische Pole feststellen, die seine Kunst umspannt. Zum einen das metaphorische Kino von Andrey Tarkovsky, zum andern den hemmungslosen Aktionismus von Leonid Gaidai.

Der Film Das hölzerne Zimmer (Деревянная комната  / Derevyannaya komnata) mit seinem rätselhaften Sujet, welches sich bis zum Schluss nicht auflöst, mit dem forcierten Motiv der Beobachtung, ist ein Zwischen-Bild, welches stark der Tradition des optischen Gleichnisses bei Tarkovsky ähnelt.

Daher ist es kein Zufall, dass Evgeny Yufit parallel zum Hölzernen Zimmer eine Serie von Landschaftsfotografien herstellte, die unbelebte menschenleere Weiten zeigen. Das Auge bemerkt in der Natur Spuren von Störungen. Sie sind jenen verwandt, die Tarkovsky im Spiegel oder in Solaris als Metaphern für die Anwesenheit des göttlichen Willens verwendet hat. In E. Yufits Film Silberne Köpfe (Серебряные головы / Serebyannye golovy), der unter aktiver Mitwirkung von V. Maslov als Drehbuchautor und Schauspieler entstand, findet sich zum ersten Mal eine Reihe von Merkmalen, die den sorgfältig geplanten Kinofilm definieren: ein Handlungsaufbau, Dialoge, die auf einander Bezug nehmen, gebaute Szenenbilder und ein musikalisches Thema, welches pathetisch-eindrücklich das Finale begleitet.

Silberne Köpfe ist besser als alle Vorgängerfilme Yufits: Er problematisiert, wie die alternative Ästhetik des Nekrorealismus mit einem im Kino üblichen Erzählstrang verbunden werden kann. Der Nekrorealismus hat mit anderen Genres der absurden Kunst gemeinsam, dass er einer vorhersehbaren Entwicklung der Erzählung entgegensteht, wie auch insgesamt der Entwicklung des Sujets aus den Anfangsmotiven. E. Yufit benutzt diese, damit der Zuschauer den Übergang zur Nekrorealität spüren kann. In den Silbernen Köpfen entwickelt sich die Handlung aus einem bereits in den Rittern der Lüfte erprobten Szenarium: dem eines wahnsinnigen wissenschaftlichen Experiments. Das Selbstzerstörerische dieses Experiments bildet gewissermaßen das „Skelett“, an dem die einzelnen Episoden wie Bänder und Muskeln hängen: die Helden töten und töten sich selbst, mal so, mal anders.

Das Ende erreichen lebend nur die gesetzmäßigen Bewohner der Nekrozone – die Mutanten. Das aber, was in den absurden Happenings des „Mschalalafilms“ und beim Ritter der Lüfte  aus Leidenschaft geschah – wie wir es bei Gaidai kennen -, kann hier wie eine Abfolge kurzweiliger Gags zu einem quasi-ökologischen Thema aussehen. Doch stellt der Film Die Silbernen Köpfe klar, dass man den Nekrorealismus tatsächlich in eine Spielhandlung bringen kann, dass er nicht nur zur Improvisation taugt, sondern auch durch einen Regisseur geführt werden kann. Ein weiteres wichtiges Ergebnis dieses Films ist, dass er mit seiner Wirkung sich selbst durchaus gerecht wird, und dass die Sichtweisen von Regisseur und Kameramann miteinander korrespondieren, was durch den Schnitt verstärkt wird. Wie bei jedem gelungenen Kunstwerk lebt und entwickelt sich die in den Silbernen Köpfen geschaffene Welt weiter zur Realität, welche in den mentalen Raum hinter den letzten Bildern hineingeht.

Ekaterina Andreeva

Übersetzung aus dem Russischen: Hannelore Fobo

[1] Mschalalafilm, russisch Мжалалафильм. Nach Auskunft Evgeny Yufits ist „Mschalala" ist eine Wortschöpfung, die wie der Begriff „Nekro-realismus" auf zwei gegensätzlichen Wortwurzeln basiert. „Mscha" bedeutet „Dämmerzustand, Halbschlaf", „lala" ist das Kinderlallen. (Anmerkung der Übersetzerin)