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Trinität, Glaube und Wissen


11. Die verschlossene Offenbarung

Nun kann man Wissenschaftlern das Denken nicht verbieten. Aber das ist es nicht, was den christlichen Kirchenlehrern zu denken geben sollte. Wie definieren sie ihre eigentliche Aufgabe?  

Hier ein weiteres Zitat aus der Enzyklika Fides et Ratio von Johannes Paul II (1998), in welcher der Begriff „Offenbarung“ 82 mal verwendet wird, und die Begriffe „wissen“, „Wissen“, „Wissenschaftler“ etc.  87 mal

    Das Hauptziel, das die Theologie anstrebt, besteht darin, das Verständnis der Offenbarung und den Glaubensinhalt darzulegen. Der tatsächliche Mittelpunkt ihrer Reflexion wird darum die Betrachtung des Geheimnisses vom dreieinigen Gott sein

Für die katholische Kirche mag es eine gute Nachricht sein, dass die Metaphysik der Physiker durchaus den Weg zu einem Schöpfergott oder zu einem Geist findet, aber nicht zu einem persönlichen Gott: Christus bleibt „Eigentum“ der Kirche. Die Physik kommt eben nur zu einem Dualismus, den sie in der Gegenüberstellung von Geist und Materie findet, und den sie zu überwinden sucht. Und daher bleibt ihr das individuelle Bewusstsein ein Rätsel, das insbesondere mithilfe der östlichen Philosophie gelöst werden soll. Sie war vor einigen Jahrzehnten ausgesprochen populär („Das Tao der Physik“ von Fritjof Capra).   

Ob es das ist, was Papst Franziskus mit seiner bereits zitierten Aussage meint:

    Bei manchen Gelegenheiten gehen aber einige Wissenschaftler über den formalen Gegenstand ihrer Disziplin hinaus und übernehmen sich mit Behauptungen oder Schlussfolgerungen, die den eigentlich wissenschaftlichen Bereich überschreiten.

Die Dreieinigkeit, die eine Antwort auf das arithmetische Paradoxon wäre, bleibt der wissenschaftlichen Spekulation verschlossen. Mit einer gewissen Genugtuung konstatierte der belgische katholische Priester und Astrophysiker Georges Lemaître (1894–1966) die prinzipielle Unverständlichkeit der Trinität. Lemaîtres Auffassung ist für das katholische Glaubensverständnis keineswegs zweitrangig, denn er war Begründer der Urknalltheorie, (die er aber selbst so nicht nannte), und die Urknalltheorie wurde 1951 von der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften anerkannt und Lemaître 1960 Präsident dieser Akademie.

Lemaître war daran gelegen, die Bibel von der Verpflichtung zu wissenschaftlichen Aussagen frei zu stellen und gleichermaßen die Wissenschaft von der Verifizierung religiöser Dogmata.

In einem Interview in der New York Times vom 19 Februar 1933 äußerte er sich dazu folgendermaßen (zitiert nach Mauro Stenico, Cosmologia e ideologia: la teoria dell’espansione dell’Universo nello spazio pubblico (1922-1992), 2013):

    “Do you know where the heart of the misunderstanding lies? (...) Hundreds of professional and amateur scientists actually believe the Bible pretends to teach science. This is a good deal like assuming that there must be authentic religious dogma in the binomial theorem. Nevertheless a lot of otherwise intelligent and well-educated men do go on believing or at least acting on such a belief. When they find the Bible’s scientific references wrong, as they often are, they repudiate it utterly. Should a priest reject relativity because it contains no authoritative exposition of the doctrine of the Trinity?”

    (…)

    “For instance, the doctrine of the Trinity is much more abstruse than anything in relativity or quantum mechanics. But, being necessary to salvation, the doctrine is stated in the Bible. If the theory of relativity had also been necessary to salvation it would have been revealed to St. Paul or Moses (...) It is utterly unimportant that errors of historic and scientific facts should be found in the Bible, especially if errors relate to events that were not directly observed by those who wrote about them. The idea that because they were right in their doctrine of immortality and salvation they must also be right on all other subjects is simply the fallacy of people who have an incomplete understanding of why the Bible was given to us all.”

    http://eprints-phd.biblio.unitn.it/1045/3/STENICO_FULL.pdf

Der Kern von Lemaîtres Aussage ist, dass die Bibel zwei Arten von Unsinnigkeiten enthält: Inhalte, die für die Rettung die Menschen nicht notwendig sind sowie Inhalte, die für die Rettung die Menschen notwendig sind – also unwichtige und wichtige Inhalte. Unwichtiges kann durch systematisches Denken widerlegt werden, Wichtiges jedoch nicht: an dieses muss geglaubt werden. Anders ausgedrückt, Fabeln kann man widerlegen, Wahrheit muss geglaubt werden. Eine solche Wahrheit ist die Trinität.

So einfach ist die Sache aber nicht, denn damit muss Lemaître eine Anzahl von geoffenbarten Wahrheiten voraussetzen, die durch die Wissenschaft niemals widerlegt werden können, auch dann, wenn sie im Widerspruch zur wissenschaftlichen Erkenntnis zu stehen scheinen. Logisch folgt daraus, dass sie wissenschaftlich auch nicht bestätigt werden können. Es hat eigentlich gar keinen Sinn, sich weiter mit ihnen auseinanderzusetzen. Interessanterweise sind es gerade solche Wahrheiten, die für den Menschen nützlich sind. Welche das im einzelnen sind, wird dogmatisch bestimmt.

Die Grenze des Wissens ist unverrückbar. Wir sind keinen Schritt über Kant hinausgekommen: „Ich musste also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen.

In der Essenz bedeutet eine solche Zweiteilung in Offenbarung und Wissenschaft, dass die Offenbarung für sich die Wahrheit beanspruchen darf und die Wissenschaft die Welt lediglich beschreibt. Mit anderen Worten, Offenbarungen sind Wahrheiten a priori, Ergebnisse der Wissenschaft sind Wahrheiten a posteriori.

Der forschende Mensch wäre tatsächlich der neutrale Beobachter, und seine Begriffsbildung wäre keine schöpferische, sondern eine rein deskriptive, die dem Welteninhalt nichts hinzufügt. Will dieser Mensch etwas über die Sinnhaftigkeit seines Tuns wissen, so muss er die Theologie um Auskunft bitten.

Es leuchtet ein: eine ursprüngliche Wahrheit lässt sich wissenschaftlich nicht beweisen, denn dazu bräuchte man eine noch ursprünglichere Wahrheit, auf die sich erstere bezieht. Daher erhält der Mensch eine ursprüngliche Wahrheit tatsächlich als Offenbarung. Vermitteln sich uns aber nicht auch wissenschaftliche Erkenntnisse genau so, als Intuitionen oder Offenbarungen?

Wir können Offenbarungen lediglich für wahr halten – glauben. Doch ganz abgesehen davon, dass Offenbarungen keine Angelegenheit der Vergangenheit sind, gilt: wir glauben nicht beliebig, denn das, was wir für wahr halten, verknüpfen wir logisch mit anderen Argumenten. Wir verlangen Plausibilität. Wir wollen erkennen, damit wir wissen, was wir glauben können, und nicht bloß glauben, was wir glauben sollen.

Wenn die Kirche auf ihrer Zuständigkeit für das Verständnis der Offenbarung und den Glaubensinhalt besteht (mit besten Absichten, weil sie die Offenbarung behüten will), gibt sie damit nicht im gleichen Zug alle diejenigen preis, die sich nicht auf die Wahrheit einer „abstrusen“ Vorstellung verlassen möchten, weil sie keinen Grund finden, sie zu glauben? Und davon gab es im Jahr 1933, als Lemaître sein Interview gab, genügend.

Und schließlich, gibt die Kirche nicht auf diese Weise gegen ihre Absichten das Ich-Bin preis – Christus, den kosmisch-irdischen Gott, der vor zweitausend Jahren auf der Erde wandelte, der für alle Menschen gestorben ist und der nach seinem physischen Tode verkündete „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Matt. 28, 20) καὶ ἰδοὺ ἐγὼ μεθ’ ὑμῶν εἰμι πάσας τὰς ἡμέρας ἕως τῆς συντελείας τοῦ αἰῶνος.

Wenn die Kirche denen, die sich dem Rätsel des Ich nähern wollen, nicht mehr als Dogmatik zu bieten hat, dann bleibt ihnen ein Christentum der Feiertagsmoral. Um moralisch gut zu sein, muss man aber wahrhaftig kein Christ sein – bisher gibt es jedenfalls keinen Grund, ein solches Privileg für die Christen in Anspruch zu nehmen.

Die Frage ist doch, wie wir unser Ich als erlebte, wenn auch nur im Bild erlebte Erfahrung in unsere Erkenntnisse hinein nehmen können, ob wir dabei die innerliche Seite des Lichts finden und schließlich, was mit unserem Ich geschieht, wenn wir und vom L-Ich-t zum lebendigen Ich kommen.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die empirische Wissenschaft den Weg zum lebendigen Ich findet, wenn sie mit erweiterten Sinnen arbeitet, so wie die Kunst sich erweiterter Sinne bedient, um das Geheimnis des lebendigen Ich darzustellen: In der Hand einen Kristall halten, den du verbirgst.

Hannelore Fobo, 22. Januar 2020

Für Lisa.




 (E-E) Evgenij Kozlov White Ashes Druck auf Leinwand, übermalt, 155 x 112 cm, 2010 / 2019 Aus dem Zyklus Bek XX / Jahrhundert XX

(E-E) Evgenij Kozlov
White Ashes
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Veröffentlicht 6. Dezember 2021