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Trinität, Glaube und Wissen


10. Das arithmetische Paradoxon

Welche Möglichkeiten hält die „reale“ Welt für uns bereit? Gibt es den neutralen Experimentator überhaupt? Oder ist es eine Fiktion, dass wir irgend eine Handlung vornehmen können, ohne damit ins Weltgeschehen einzugreifen und somit etwas konkretisieren, was zuvor unbestimmt war? Und angenommen, wir messen gar nicht, sondern beobachten nur?

Sogar das so augenscheinlich harmlose Beobachten ist ja eine Tätigkeit, weil es mit dem Denken verbunden ist; das Denken bringt aber Begriffe hervor. Gibt es irgendeine menschliche Tätigkeit, die einen Prozess nur beschreibt – abbildet und nicht auch bildet? Selbst Wittgenstein ist von seiner Aussage „Die Welt ist durch die Tatsachen bestimmt und dadurch, dass es alle Tatsachen sind“ später wieder abgerückt.

Es wundert nicht, dass die Interpretation der Ergebnisse der Quantenmechanik zu heftigen Disputen unter den Physikern führte, die in ihrer Intensität den theologischen Disputen vergangener Zeiten nicht nachstehen. Wir befinden uns in der Fortsetzung des Universalienstreites, in dem darum geht, ob ein Begriff einen Sachverhalt nur repräsentiert, zusammenfasst (Nominalismus), oder ob das damit Benannte einen wirklichen, objektiven Inhalt hat (Realismus).

Und schließlich geht es darum, ob wir an dieser Objektivität durch unsere Begriffsbildung mitwirken. Denn der Prozess des Beobachtens ist ja erst abgeschlossen, wenn wir unsere Beobachtung begrifflich verarbeitet oder bestimmt haben.

Bedeutende Physiker sahen sich veranlasst, den Schritt von der Physik in die Metaphysik zu gehen, wenn man als Gegenstand Metaphysik die göttliche Schöpfung im weitesten Sinn bezeichnen will. Dazu gehören unter anderem die Nobelpreisträger Max Planck, Albert Einstein, Max Born, Erwin Schrödinger, Wolfgang Pauli und Werner Heisenberg. 

Hier ein Zitat aus Erwin Schrödingers Artikel „Das arithmetische Paradoxon – Die Einheit des Bewusstseins“, zitiert und kommentiert von Martin Thunemann auf der Seite „Gott und Physik“:

    Schrödinger beschreibt die Naturwissenschaft und findet, dass in der Welt der Naturwissenschaft "alle Sinnesqualitäten fehlen", es fehlen "Farben, Töne, Greifbarkeit". Und daher fehlen der Naturwissenschaft die Dinge, "die ihre Bedeutungen in bezug auf das bewusst anschauende, wahrnehmende und fühlende Wesen haben", vor allem "sittliche und ästhetische Werte, Werte von jeder Art, alles was auf Sinn und Zweck des ganzen Geschehens Bezug hat." Doch sind diese Werte auch nicht in das Weltmodell einzubauen, da sie als solche falsch werden. Besonders schmerzlich ist aus Sicht Schrödingers "das völlige Schweigen unseres ganzen naturwissenschaftlichen Forschens auf unsere Fragen nach Sinn und Zweck des ganzen Geschehens.[...] Das Spektakel, das sich da abspielt, erhält einen Sinn offenbar nur durch den Geist, der ihm zuschaut." Und schließlich findet er einen Grund dafür, warum der Naturwissenschaft zu Unrecht der Atheismus unterstellt wird: "Der persönliche Gott kann in einem Weltbild nicht vorkommen, das nur zugänglich geworden ist um den Preis, dass man alles Persönliche daraus entfernt hat. Wir wissen: Wenn Gott erlebt wird, so ist das ein Erlebnis, genauso real wie eine unmittelbare Sinnesempfindung oder wie die eigene Persönlichkeit. Wie diese muss er im raum-zeitlichen Bilde fehlen. "Ich finde Gott nicht vor Raum und Zeit", so sagt der ehrliche Naturwissenschaftliche Denker. Und dafür wird er von denen gescholten, in deren Katechismus geschrieben steht: Gott ist Geist".  [1887 – 1961, Nobelpreis 1933, Auszüge aus "Das arithmetische Paradoxon – Die Einheit des Bewusstseins"]

    http://www.thunemann.de/martin/gott/index.html

Wenn man die Frage nach dem persönlichen Gott so versteht, dass damit ein direktes Verhältnis des Menschen zu einem universellen Gott gemeint ist und nicht zu einem persönlichen Schutzengel, so ist sie alles andere als trivial. Sie fragt danach, ob sich der Mensch mit seinen Erkenntnissen, aus denen alles Persönliche, nämlich das Ich-Bin herausgefallen ist, in die göttliche Schöpfung stellt oder aus ihr herausfällt. Denn wenn Gott nicht in einem Verhältnis zu mir steht, dann sind meine Erkenntnisse für ihn wertlos: der unpersönliche Gott hat die Schöpfung ihrem Lauf überlassen.  

Die Frage nach dem individuellen, unverbundenen Bewusstsein löst eine Reihe von Fragen aus. Hier ein weiteres Zitat aus dem Artikel von Erwin Schrödinger, nachzulesen auf der Seite westl. Forscher über Advaita https://tm-independent.de/Transzendentale_Meditation/Advaita_Vedanta/Forscher___Advaita/westl__forscher_uber_advaita.html#2:

    Der Grund dafür, dass unser fühlendes, wahrnehmendes und denkendes Ich in unserm naturwissenschaftlichen Weltbild nirgends auftritt, kann leicht in fünf Worten ausgedrückt werden: Es ist selbst dieses Weltbild. Es ist mit dem Ganzen identisch und kann deshalb nicht als ein Teil darin enthalten sein. Hierbei stoßen wir freilich auf das arithmetische Paradoxon: Es gibt scheinbar eine sehr große Menge solcher bewußten Iche, aber nur eine einzige Welt. Das beruht auf der Art der Entstehung des Weltbegriffs. Die einzelnen privaten Bewußtseinsbereiche überdecken einander teilweise. Der ihnen allen gemeinsame Inhalt, in dem sie sich sämtlich decken, ist die „reale Außenwelt“. Bei alledem bleibt aber ein unbehagliches Gefühl, das Fragen auslöst wie: Ist meine Welt wirklich die gleiche wie die deine? Gibt es eine reale Welt, verschieden von den Bildern, die auf dem Weg über die Wahrnehmung in einen jeden von uns hineinprojiziert werden? Und wenn es so ist, gleichen diese Bilder der realen Welt, oder ist diese, die Welt „an sich“, vielleicht ganz anders als die Welt, die wir wahrnehmen?

Das arithmetische Paradoxon ergibt sich für Schrödinger „aus den vielen Bewußtseins-Ichen, aus deren sinnlichen Erfahrungen die eine Welt zusammengebraut ist.“

Daraus zieht Schrödinger folgende Schlussfolgerung:

    Die Vielheit ist bloßer Schein; in Wahrheit gibt es nur ein Bewußtsein. Das ist die Lehre der Upanishaden, und nicht nur der Upanishaden allein. Das mystische Erlebnis der Vereinigung mit Gott führt stets zu dieser Auffassung, wo nicht starke Vorurteile entgegenstehen; und das bedeutet: leichter im Osten als im Westen. Als ein Beispiel neben den Upanishaden zitiere ich Aziz Nasafi , einen islamisch-persischen Mystiker aus dem 13. Jahrhundert, in der Übersetzung von Fritz Meyer, „Beim Tod jedes Lebewesens kehrt der Geist in die Geisterwelt und der Körper in die Körperwelt zurück. Dabei verändern sich aber immer nur die Körper. Die Geisterwelt ist ein einziger Geist, der wie ein Licht hinter der Körperwelt steht und durch jedes entstehende Einzelwesen wie durch ein Fenster hindurchscheint. Je nach der Art und Größe des Fensters dringt weniger oder mehr Licht in die Welt. Das Licht aber bleibt unverändert.“ (Ibd.)

Eine andere Lösung des arithmetischen Paradoxons, das heißt, eine andere Möglichkeit, die bewussten Iche zu verbinden als durch die Auflösung in einem einzigen Geist, sieht Schrödinger nicht.

Eine solche andere Möglichkeit wäre die Verbindung des individualisierten Ich mit dem „Ich-bin“ und die Erkenntnis dieses „Ich-bin“ in den anderen Individuen – in diesem Leben: Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. (Matt 25: 40, Luther)




 (E-E) Evgenij Kozlov a „стихи“ (JCF) / a “poems” (JCF) Druck auf Leinwand, übermalt, 155 x 112 cm, 2010 / 2020 Aus dem Zyklus Bek XX / Jahrhundert XX

(E-E) Evgenij Kozlov
a „стихи“ (JCF) / a “poems” (JCF)
Druck auf Leinwand, übermalt, 155 x 112 cm, 2010 / 2020
Aus dem Zyklus Bek XX / Jahrhundert XX




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Veröffentlicht 6. Dezember 2021