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Trinität, Glaube und Wissen


1. Das Ich und die Sinngebung

In diesem Essay werde ich die Trinität oder Dreifaltigkeit als Verständnisproblem von verschiedenen Seiten her beleuchten. Im Wesentlichen sind es zwei Gesichtspunkte: die Dogmatik der katholischen Kirche und die Möglichkeiten der neueren Physik  – doch beginne ich zunächst mit einer Dreiheit, die der russische Künstler (E-E) Evgenij Kozlov am 4. November 2019 entwickelt hat, und die er ausdrücklich "Trinität" genannt hat, im Russischen "Tri-edinstvo", Tri = drei und "edinstvo" Einheit.

Kozlov erläutert den kreativen Prozess in dieser Formel

    Das Ursprüngliche: die Inspiration
    Das Nachfolgende: der Gedanke
    Das Ergebnis: der Sinn

Wir bewegen uns mit der zweiten Stufe, dem Gedanken, bereits im Bereich der begrifflichen Erfassung des „Unbegrifflichen“ oder auch „Unbegriffenen“, das aber eine Erfahrung darstellt.

Das Paradoxe ist dabei natürlich, dass wir das "Unbegriffliche" der ersten Stufe, nämlich die Inspiration, ebenfalls mit einem Begriff bezeichnen, eben genau dem Begriff der Inspiration. Wir kommen aber nicht darum herum, wenn wir uns verständigen wollen. Wir benennen immer von der zweiten Stufe aus.

Dabei ist von den drei Begriffen – Inspiration – Gedanke – Sinn – „Inspiration“ der abstrakteste: er führt zurück auf den rein geistigen Bereich, aus dem sich alle Menschen "bedienen", oder besser "bedient werden", wenn sie dazu Zugang haben, wie Evgenij Kozlov es nennen würde.

In der zweiten Stufe sehen wir die Fortsetzung dieses Geschehens aus dem Bereich, der keine materielle Existenz hat – der Inspiration – in den Bereich der materiellen Existenz. Dem Gedanken kann man schon eine gewisse materielle Existenz zusprechen insofern, als seine begriffliche Äußerung oder Formulierung an das Vorhandensein des Gehirns gebunden ist. Mit anderen Worten, im Erfassen des Gedankens findet der Bewusstseinsprozess statt, der in der dritten Stufe in die Sinngebung mündet. Die Sinngebung wiederum ist eine individuelle Erkenntnis oder Angelegenheit  des Menschen.

Wenn man also diese Dreiheit in ihrer Entwicklung betrachtet, so stellt man fest, dass sie sich in ihrem Verlauf bei den Menschen zunehmend individueller manifestiert, ohne aber ihren Zusammenhang mit dem Ursprung zu verlieren.

In der christlichen Vorstellung wird ein solcher Individualisierungsprozess damit markiert, dass der Vatergott sich durch seinen Sohn inkarniert hat, also grob gesprochen (sehr grob gesprochen) einen zentralen seiner Aspekte unmittelbar mit der Materie verbunden hat, nämlich den „Ich bin“ Aspekt. Das Wort wird Fleisch.

Aus der Sicht des Menschen ist dies eine individuelle Erscheinungsweise des Ich-Gottes. Voraus geht die Offenbarung des Gottes im brennenden Dornbusch: Moses fragt Gott nach seinem Namen und erhält als Antwort: Ehjeh Ascher Ehjeh, was Luther mit „Ich werde sein, der ich sein werde“ übersetzt.

Auf diese Weise wird aber im Christentum die Sinngebung, die dritte Stufe, durch das menschliche Individuum offen gehalten. Mit anderen Worten, hier spielt die Freiheit des Menschen eine Rolle, die sie beispielsweise im Islam nicht spielen kann, denn für den Islam ist Jesus ein Prophet und kein Gott, der für das Ich der Menschen eine Tat vollbracht hat. Demzufolge kann im Islam der Wille Gottes durch den inspirierten Propheten zwar verkündet werden. Die Sinngebung unterliegt im Islam dem individuellen Menschen aber nur insofern, als der Wille Gottes und seine Schöpfung auf kompetente Weise erforscht und interpretiert werden kann.

Nun kommt es zum einen darauf an, ob die „offene“ Sinngebung der kompletten Willkür des Menschen unterliegt, oder ob sie sich doch in einen höheren Zusammenhang einbetten lässt. Zum anderen kommt es drauf an, ob diese „offene“  Sinngebung die Entwicklung der Welt auf eine bestimmte (positive) Weise anstoßen kann, denn wie sollte sie sich rechtfertigen, wenn die Welt auch so ihren Gang geht?

Im ersten Fall können wir sagen, dass beispielsweise Naturgesetze, die vom Menschen erkannt oder „erfunden“" werden, sich in einen solchen höheren Zusammenhang einbetten müssen, denn gefunden werden soll ja das, was „richtig“ ist, also mit der Erscheinungsweise der Welt zusammenstimmt. Wir erschließen uns die Phänomene der Welt, um auf sie Einfluss zu nehmen. Man kann hier von einer schöpferischen Nachschaffung der Welt sprechen: wir operieren mit den Gesetzen der Welt, die sich allerdings – insbesondere in der modernen Physik – dem Verständnis teilweise entziehen: es funktioniert, aber wir wissen nicht, wieso die Mathematik als rein geistiges Forschungsgebiet (ein Sonderfall der Forschung) „zufällige“ Anwendungen in der Praxis findet. Dies öffnet das Wissen dem Glauben. Ich komme im letzten Kapitel dieses Essays darauf zurück.

Im zweiten Fall kommen wir in den Bereich der ethischen Entwicklung des Menschen, die im eigentlichen Sinn die Steigerung der Weltgesetze bedeutet, denn wir verlassen hier den Bereich der Nachschöpfung und betreten den Bereich der Neuschöpfung. Dazu gehören Werke der Kunst, die sich eben dadurch definieren, aber nicht restlos ihre Geheimnisse preisgeben. „In der Hand einen Kristall halten, den du verbirgst“ ist der Titel eines Gemäldes von E. Kozlov aus dem Jahre 1996.

Dazu gehören ebenso die Handlungen, die der Mensch an seinen Mitmenschen ausübt, weil er sich ihnen gegenüber in einer bestimmten Stellung befindet, insbesondere auch solche Handlungen, zu denen er sich er aufgrund seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse berechtigt sieht, beispielsweise im Bereich der Medizin. Gemeint sind also Tätigkeiten, die der Mensch nicht als Objekt, sondern als Subjekt ausführt. Hier tritt der er selbst als Schöpfer auf, der von dem, was er tut, sagen möchte, dass es gut ist.

Hier kann der Mensch nach christlicher Auffassung sein individuelles Ich-Sein in gewisser Weise „synchronisieren“ mit dem Ich des Gottes, aus dem das menschliche Ich ursprünglich stammt („nach dem Bild Gottes“) – und zwar deshalb, weil sich in Christus das Ich-Bin das Gottes für alle sichtbar manifestiert hat (für die, die Augen haben, es zu sehen und Ohren, es zu hören).

Diese Synchronisierung erfolgt über die Rückbindung des Menschen an Gott und Christus durch den Heiligen Geist, also durch Inspiration.

Mit anderen Worten, der Mensch erkennt seine eigene Aufgabe – was es bedeutet, ein Ich zu sein und damit seine Sinngebung der Welt – nicht auf einmal, sondern stufenweise. Man kann dies auch einen dialektischen Prozess nennen.

Während die Erforschung der Welt für den Menschen eine Frage der Erkenntnis ist, ist die Sinngebung, also die Umsetzung einer Erkenntnis, in gewisser Weise eine Frage des Willens. Daher kann man einen anderen Menschen wohl von einer bestimmten Theorie überzeugen, die auf Logik aufbaut, sofern er die Prämissen anerkennt, aber nicht davon, dass es sinnvoll ist, das eine zu tun und das andere zu lassen, ohne dass man direkt in den Willen des andern eingreift.




 (E-E) Evgenij Kozlov Иметь в руке кристалл, который прячешь / In der Hand einen Kristall halten, den du verbirgst“ Mischtechnik auf Leinwand, 199 x 146.5 cm, 1996  Aus dem Zyklus Virtuose Realilät

(E-E) Evgenij Kozlov
Иметь в руке кристалл, который прячешь / In der Hand einen Kristall halten, den du verbirgst“
Mischtechnik auf Leinwand, 199 x 146.5 cm, 1996
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Veröffentlicht 4. Dezember 2021