Die Kunst der Zukunft Seite 1


Evgenij Kozlov (E-E) und Hannelore Fobo im Gespräch, 1991

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E-E: Ich glaube, dass die hauptsächliche Aufgabe darin besteht, über sie zu reden. Denn wenn man über etwas redet, dann setzt sich die Energie, die diese Information enthält, in Bewegung.

H: Was heißt das, sie setzt sich in Bewegung?.

Sie ist bereits ins Leben getreten, und jetzt beginnt allmählich ganz allgemein das bewusste Erfassen dessen, was früher unbewusst blieb. Das Primäre ist ja nicht, dass wir darüber schreiben sollen, damit es alle lesen, sondern dass die Energie geboren wurde, damit sie sich ringsherum verbreiten kann. Und in Anbetracht der Tatsache, dass es für die Energie keinerlei Grenzen gibt, nirgends, bedeutet dies, dass sie sich jetzt über die ganze Erde verbreitet. Das heißt, es hat jetzt eine neue Etappe der Entwicklung begonnen, ganz generell. Das entspricht dem, wenn man sagt, die Idee liegt in der Luft. Sie ist geboren worden und existiert jetzt. Man kann nun, wenn man will, darüber schreiben und sprechen, über sie nachdenken. Man kann es auch sein lassen, denn darauf kommt es nicht an im Resultat.

H: Das Wichtigste ist, sie zum ersten Mal auszusprechen.

E-E: Nicht es auszusprechen, sondern, dass sie geboren wurde.

H: Und wie wird sie geboren, erst, wenn man sie ausspricht?

E-E: Nein, das Aussprechen kommt danach. Es ist lediglich eine Form, die den Menschen verständlich ist.

H: Hätte sie also ganz einfach nur so in dir geboren werden können?

E-E: Ja, aber ... ich glaube eher, sie ist nicht einmal genau in diesem Moment geboren worden, als ich sie erhalten habe. Ich glaube, sie lag schon in der Luft.

H: Das heißt, sie existierte schon vorher.

E-E: Ja, sicher. Vermutlich lag sie schon in der Luft. Deshalb könnte es übrigens wichtig sein, sie auszusprechen, das heißt, sie in einer dem Menschen verständlichen Form zu fixieren. Das Fixieren bedeutet aber, wie wir bereits festgestellt haben, die klassische Form der Kunst. Mit anderen Worten, jegliche Kunst der Gegenwart und der Zukunft, die mit den Händen fixiert wird, einschließlich aller –ismen, die schon entstanden sind oder noch entstehen, gehört zur Klassik. Mit dieser Definition fängt im Grunde genommen ein neues Zeitalter in der Kunst an.

H: Und für den Menschen, der die Kunst der Zukunft nicht in sich fühlt?

E-E: Er wird eben genau dies fühlen, vom jetzigen Moment an, er wird sie in sich entwickeln, sie wird sich in ihm auf natürliche Weise entwickeln, weil er sie verstanden hat und weil er deshalb nach ihr strebt.

H: Verlässt er dann alle –ismen, verlieren sie dann für ihn an Bedeutung?

E-E: Mir selbst sind sie nicht wichtig, ich weiß nicht, wie es für die anderen sein wird. Grundsätzlich wird es völlig bedeutungslos sein, welche –ismen oder Bezeichnungen in der Kunst auftreten. Es ist auch nicht die Sache des Künstlers, das zu benennen, was er tut. Das ist die Angelegenheit einer spezifischen Gruppe von Leuten mit ihrem spezifischen Schaffen, von Kritikern zum Beispiel. Sie denken sich dazu was aus, das ist ihre Arbeit. Ich glaube, dem Künstler als Persönlichkeit, als Schöpfer, war dies nie wichtig. Solche Kategorien betreffen den zweiten Teil des Schemas, den zweiten Teil der Kunst.

H: Mit welcher Haltung soll man dann dem Kunstwerk entgegentreten, welchen Ansatz soll der aufmerksame Betrachter haben, der Kritiker etc.?

E-E: Ich glaube, gegenwärtig muss es so sein, wie es tatsächlich ist. Ich sehe im Augenblick noch keine Möglichkeit, wie man das Kunstwerk auf neue Weise aufnehmen kann. Andererseits sehen verschiedene Leute in einem Bild verschiedene Dinge, und plötzlich taucht ein Kritiker auf und behauptet: Dieses Bild hat genau diese Bedeutung. Aber er erklärt es durch das, was in der Kunst sekundär ist, das heißt, er fixiert es mit Wörtern. Das ist übrigens der klassische Ansatz zum Erklären von allem Möglichen. Bloß kommt es in erster Linie ja nicht darauf an, dass der Mensch darüber nachdenkt, was andere vor ihm gedacht oder geschrieben haben, sondern dass er sich in seinem Inneren so weit entwickelt, dass das, was er selbst fühlt und sieht, nämlich die innere Welt des Künstlers, dass diese groß und mächtig wird. Dann wird er sich sicher seiner eigenen Kunst, seines eigenen Schaffens, das er in sich trägt.

Möglicherweise ist es gar nicht wichtig, dass er dasselbe denkt wie der Künstler, als dieser das Kunstwerk geschaffen hat. Denn jeder Mensch unterscheidet sich doch in seiner Persönlichkeit so ungeheuer von dem anderen, dass es für ihn gar keinen Sinn hat, das zu verdoppeln, was ein anderer Mensch schon vor ihm gedacht hat. Jeder Mensch muss sich maximal verschieden vom anderem entwickeln. Vielleicht ist die Kunst der Zukunft genau dazu da, damit die individuellen Eigenschaften eines jeden Menschen so weit wie möglich entwickelt werden. Im Augenblick herrscht die Meinung, dass, wenn jemand etwas auf eine bestimmte Weise gesagt oder geschrieben hat, es nur so sein darf.


H: Im Augenblick ist man der Meinung, auf das Gefühl und die eigene Wahrnehmung dürfe man sich bei der Beurteilung eines Kunstwerks nicht verlassen.

E-E: Dabei sollte man sich ausschließlich darauf verlassen, denn das ist das Grundlegende am Menschen. Wenn man das nicht versteht, macht man einen Fehler.

H: Wenn das Bild das Ergebnis ist ...

E-E: Das Bild ist dazu geschaffen, dass im Betrachter dessen innere Welt geboren wird und entsteht, und damit sich diese innere Welt so weit wie möglich entwickelt. Dafür existiert die Kunst.

H: Das heißt, dem Betrachter ist das dienlich, was ihm etwas gibt?

E-E: Ja, natürlich.

H: Und was ihn nicht berührt, das kann er beiseite lassen?

E-E: Das wird auf völlig natürliche Weise ablaufen. Was den Menschen nicht berührt, dazu steht er in keinem Verhältnis. Wenn ihn aber etwas berührt, wird er die Wirkung erfahren. Die Kunst existiert nur zu dem Zweck, dass das, was sie im Menschen berührt, sich in großem Maßstab, in einer unglaublichen Vielfalt von Formen entwickelt. Und das wird die neue Kunst sein, im Sinne der Kunst der Zukunft.

H: Und wodurch unterscheidet sich ein Meisterwerk von dem, was keines ist?

E-E: Ein Meisterwerk zeichnet sich dadurch aus, dass in es eine ungeheure Energie gelegt wurde, eine riesige Masse dieses – inneren Zustandes, so viel wie möglich, so dass eine große Anzahl von Menschen, jede Person, die es sieht, dank dieser großen Energie und dieser Masse des inneren Zustandes des Künstlers fähig ist, sich selbst maximal weiterzubewegen. Das ist nicht sehr geschickt ausgedrückt, aber im Wesentlichen geht es darum.


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Evgenij Kozlov über die Kunst der Zukunft